Friedrich Kaiser: VERSTORBENE und LEBENDE |
erschienen in: Nr. 136 der II. BEILAGE DES NEUEN FREMDEN-BLATTES 1867 Die Erinnerung ist eine Versorgungskasse ganz eigener Art, man bezieht aus ihr im Alter Renten, aber weniger von dem was man in der Jugend eingezahlt, als von dem, was man genossen hat, da es psychologisch erwiesen ist, dass das Gedächtnis des Menschen die freudigen Momente länger und frischer bewahrt, als die schmerzlichen. Für mich waren aber immer diejenigen Momente meines Lebens die genussreichsten, welche mich mit Männern von Bedeutung in Berührung brachten. Als Gründer und Vorstand mehrerer Künstlervereine ward mir dieses Glück beínahe mehr zu Teil, als ich in der bescheidenen Stellung, welche ich selbst in der Kunstwelt einnehme, zu beanspruchen berechtigt gewären wäre; und so gleicht meine Erinnerung einer Gemäldegalerie, in welcher aber nicht bloß die Porträts vieler teils bereits verewigter, teils noch lebender Träger weltbekannter Namen hängen, sondern auch kleine Episoden aus ihrem L4eben darstellende Genre-Bildchen. Ich will´s versuchen, dem Publikum diese Galerie zu öffnen und selbst den Cicerone zu machen! Treten wir zuerst an dieses Bild heran, es ist das Bild des ersten Mannes von europäischen Rufe, mit welchem ich schon in meinen frühesten Jünglingsjahren bekannt und von ihm mit dem Vertrauen beehrt wurde, den ersten Unterricht seiner Kinder zu leiten. Es ist der erst vor einem Jahr in hohem Alter und dennoch zu früh für die Wissenschaft dahingeschiedene SIMON STAMPFER. Die ganze Gelehrtenwelt kennt ihn als einen der ausgezeichnetsten Mathematiker und Astronomen - ein großer Teil des Publikums weiß wohl auch, dass er als jubilierter Professor, ständiges Mitglied des Herrenhauses, wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Ritter des Österreichischen Leopolds- und mehrere ausländischer Orden sein für die Wissenschaft so segensreiches Leben abschloß, aber nur wenige haben, wie ich, aus seinem eigenen Munde die Beschreibung des dornigen Weges, welchen er zurücklegen musste, um an das Ziel seiner Wünsche zu gelangen, vernommen. Noch jetzt wähne ich das eigentümliche, teils wehmütige, teils wieder von einer gewissen inneren Befriedigung zeugende Lächeln zu sehen, mit welchem er derlei Erzählungen zu begleiten pflegte. Er war der Sohn sehr armer Bauersleute zu Matrei in Tirol, und musste sich schon als Kind sein Stückchen Brot selbst verdienen, indem er die Ziegen der keinen Dorfgemeinde weidete. Der Pfarrer des Ortes - ich bedaure den Namen des wackeren Mannes nicht zu wissen - wurde zuerst auf die geistigen Anlagen des in völliger Wildheit heranwachsenden Knaben aufmerksam, und machte es ihm möglich, den Hirtenstab wegzulegen, und statt der Bergtriften die Schule besuchen zu dürfen, indem er ihm zugleich erlaubte, sich täglich in der Pfarrküche zu sättigen, wofür er freilich der alten Köchin des Pfarrers, welche diese "Verschwendung" des geistlichen Herrn mit sehr scheelen Augen betrachtete, die Dienste einer Küchenmagd leisten musste. Nachdem der kleine" Simmerl" durch seine rasche Auffassung und unermüdlichen Fleiß sich vor allen seinen Mitschülern hervorgetan hatte, fühlte sich derselbe Pfarrer bewogen, für ihn eine Fürsprache bei dem Präfekten des Gymnasiums in Salzburg einzulegen, welcher aber nur insoweit Berücksichtigung fand, dass man dem jungen STAMPFER gestattete, an dem Unterricht teilzunehmen, ohne ihn aber, da er außer Stande war, das Schulgeld zu entrichten, förmlich als Schüler zu immatrikulieren. Hatte er aber nur erst seinen Sitz, so wusste er sich bald auch eine Stimme zu erzwingen! Wenn kein andere Schüler auf eine Frage der Professoren genügend zu antworten wusste, so erhob sich STAMPFER und überraschte die letzteren häufig dadurch, dass er, infolge seiner Selbststudien, bereits mehr wusste, als diese gelehrt hatten. Dadurch fühlte man sich endlich bestimmt, ihm die Bezahlung des Unterrichtsgeldes zu erlassen und ihn als wirklichen Gymnasialschüler einzutragen, wonach ihm erst das Recht zustand, durch Bestehung der Prüfung sich auch schriftliche Zeugnisse zu erwerben, nachdem er bereits selbst die glänzendsten Zeugnisse seines unermüdlichen Eifers und seiner Fortschritte abgelegt hatte. Für geistige Nahrung war also gesorgt, schwerer aber hielt es, sich die leibliche zu verschaffen. Um wöchentlich zweimal einen freien Mittagstisch zu erhalten, musste er begriffsstützigen Jungen wohlhabender Bürgerfamilien in Unterricht nehmen, um einiges bares Geld zur Anschaffung von Büchern und anderen Schulrequisiten zu erwerben, ganze Nächte in einer feuchten ungeheizten Stube mit Kopiaturen zubringen und, wenn dieser Erwerb ausblieb, an Sonntagen sogar durch das Vorlesen der Evangelien in den Höfen der Häuser einige Groschen zu verdienen suchen. - Und dennoch gelangte der "Bettelstudent" an das Ziel seiner Wünsche, eine Professur zu erhalten, welche ihm eine von Nahrungssorgen freie Stellung, und die nötige Muße gewährte, fort und fort seinen wissenschaftlichen Forschungen zu leben. "Bei mir heißt´s so recht eigentlich" PER ASPERA AD ASTRA" - sagte er einmal nach einer derartigen Mitteilung, indem er zugleich auf ein mächtiges Fernrohr wies, welches in seinem Studierkabinette zum Zwecke seiner Sternbahnberechnungen aufgestellt war. Seine angeborene Herzensgüte und die Erinnerung an seine an Drangsalen so reiche Vergangenheit machte ihn sehr mildtätig und hilfsbereit für jeden Bedürftigen, namentlich für seine Landsleute, welche sich, nachdem sein ruf auch in die Berge Tirols gedrungen war oft in ganz absonderlichen Angelegenheiten wandten. So kam eines Tages ein Tiroler Bauer zu Fuß an die Mariahilfer Linie und fragte den dort stehenden Finanzwächter ganz einfach: "Wo wohnt denn da der Stampfer?"- Der Gefragte, der wohl seinen Zolltarif, nicht aber das Schema der Gelehrten im Kopf haben mochte, entgegnete: "Ja, wer soll denn das sein?"- -"Na, er guckt halt in die Stern!" gab der Tiroler zur Antwort, worauf man ihn an die Sternwarte wies, wo ihm selbstverständlich die gewünschte Adresse sogleich bekannt gegeben wurde. "Grüß`dich Gott, STAMPFER! sprach er, seine breite Hand entgegenhaltend, bei seinem Eintritte in die Wohnung des Landesmannes. "Grüß`dich ah Gott!" erwiderte STAMPFER in echter Tiroler Mundart und schlug kräftig in die dargebotene Hand- "wer bist denn, und was führt dich zu mir?" Der Bauer erzählte, dass er in der Nähe von Stampfers Geburtsort ein kleines Anwesen besitze, und wegen eines Grundstückes mit seinem Nachbar schon lange im "Streit" sei - dass ihm aber die Gerichte nicht zu seinem Rechte verholfen hätten. "Aber was kann denn da ich tun?" sprach STAMPFER, nachdem er geduldig der weitschweifigen Auseinandersetzung zugehört hatte. "Ich hab´schon g´hört", antwortete der Bauer - "dass du was Groß´s worden bist, und selbander mit´n Kaiser reden darfst, - da wirst es doch machen können, dass ich Recht krieg´?" Vergeblich bemühte sich STAMPFER, seinen Landsmann begreiflich zu machen, dass eine solche Angelegenheit gar nicht in seinen Wirkungsbereich gehöre, und er auf die Austragung derselben keinen Einfluss üben könne; - der Bauer entfernte sich noch immer ungläubig und schien über seine getäuschte Erwartung nur durch das Geld für die Heimreise, welches ihm der Professor beim Abschied in die Hand drückte, etwas getröstet zu sein. Der nunmehr ausgezeichnete Bildhauer Josef GASSER. gleichfalls ein geborener Tiroler, hatte, einem angeborenen Schaffungstriebe folgend, sich in seiner Heimat nur mit Holzschnitzerei beschäftigt. Ein mit seltener Naturwahrheit geschnitztes Christusbild war gleichsam, sein Empfehlungsschreiben an STAMPFER, als er von dem Drange getrieben, sich weiter auszubilden, nach Wien wanderte. Jener erkannte sogleich das mächtiger Talent des Kunstjüngers, brachte es dahin, dass das Erstlingswerk desselben vom Fürsten METTERNICH, welcher damals Protektor der Akademie der bildenden Künste war, besichtigt wurde, und erwirkte später die Anweisung einer jährliche Unterstützung von Seite des Staates für seinen Schützling, welcher es diesem ermöglichte, nach Rom zu reisen, und sich dort weiter in seiner Kunst auszubilden. Ein anderer GASSER, mit dem Vornamen Johann, war ursprünglich der Lehrling eines Zimmermalers, da er aber mehr Talent zum Zeichnen und Malen verriet, als dies sein Handwerk eigentlich forderte, rieten ihm seine Freunde auch nach Wien zu wandern, und STAMPFERS Hilfe anzusuchen. Im elendsten Zustande, kaum notdürftig bekleidet, und mit aus den zerrissenen Schuhen neugierig in die Welt guckenden Zehen langte er am Ziele seiner Reise an. Kaum aber hatte STAMPFER vernommen, dass der arme Bursche auch aus Matrei gebürtig sei, als er ihm auch schon freudig seine Unterstützung zusagte. Er ließ eine kleine Kammer seiner eigenen Wohnung für den Gast richten, diesen an seinem Mittags und Abendtisch teilnehmen, verwendete sich für ihn bei dem Direktor der Akademie, und setzte seine Wohltaten jahrelang fort, bis endlich Johann GASSER es in seiner Kunst soweit gebracht hatte, sich selbst erhalten zu können. Leider brachte es dieser GASSER zu keiner besonderen Kunsthöhe, das Leben in der Residenz und ein Hang zu sinnlichen Genüssen lenkten ihn nicht nur vom edleren Streben ab, sondern untergrub auch seine Gesundheit dermaßen, dass er in den ersten Mannesjahren einem Brustübel unterlag. Ich könnte noch viele Züge echter Menschenfreundlichkeit erwähnen, an welchem STAMPFERS Leben und Wirken so reich war. Dass ein Mann, dessen Herz so warm für das Schicksal ihm ferner stehender Menschen schlug, auch mit der innigsten Liebe an seiner Familie hing, bedarf wohl keiner besonderen Zeugnisse. Um so tiefer ist es zu bedauern, dass die härtesten Schläge eines grausamen Geschickes ihn gerade in diesem Kreise trafen. Seine drei Kinder, ein geistig reich begabter Knabe und zwei anmutsvolle Mädchen, waren zur Freude ihrer Eltern herangewachsen. namentlich schien der Sohn ANTON ganz in die Fußstapfen seines Vaters treten zu wollen, denn schon in seinem vierundzwanzigsten Jahre war er Adjunkt eines Professors am polytechnischen Institute; da erkrankte er an einem Lungenleiden, und gleichzeitig mit ihm auch seine jüngere Schwester, BETTI. Trotz aller ärztlichen Hilfe und der zärtlichsten Pflege starb zuerst ANTON und wenige Wochen später auch seine Schwester. Unmöglich wäre es, den Schmerz des Vaters schildern zu wollen, und dennoch bewies sich gerade in diesem Falle die wohltuende, tröstende Macht, welche die Wissenschaft auf ihn übt, der er sein ganzes Leben gewidmet hat. Stumm und tränenlos, aber in jedem Auge seines Antlitzes das Gepräge eines gebrochenen Vaterherzens, stand STAMPFER am Sarge seiner so innig geliebten BETTI, als aber die Totengräber eintraten, um diesen Sarg für immer zu schließen, eilte er, als ob es über seine Kräfte ginge, Zeuge dieses Aktes zu sein, aus dem Zimmer und hinab bis zum Tore des Hauses , an dessen offene Flügel er sich. wie gänzlich vernichtet, lehnte. Mit innigster Teilnahme blickten seine Herrn Kollegen, welche sich, um dem Leichen zu folgen, im Hofraum versammelt hatten, auf den Tiefgebeugten. Leidige Trostworte, das mochten jene wohl fühlen, wären hier wirkungslos geblieben, deshalb wählten sie mit bewunderungswürdigem psychologischem blicke en anderes Mittel, um ihn dem schmerzlichsten Momente, in welchem der Sarg dicht an ihm vorübergetragen werden musste, um in den Leichenwagen gehoben zu werden, zu entrücken. Herr von LITTROW, der Direktor der hiesigen Sternwarte, Professor ETTINGHAUSEN und einige andere Gelehrte traten zu ihm hin und fragten ihn um seine Meinung über die Bahnberechnung eines eben neu entdeckten Planeten. Da flammte das Auge STAMPFERS, welches sich in letzter Zeit eifrig mit derselben beschäftigt hatte, plötzlich lebhaft auf, mit beinahe jugendlichem Feuer verteidigte er seine Absicht, welche von einigen auswärtigen Astronomen, wie sich später herwiese, mit Unrecht bekämpft worden war, und gewahrte, hingerissen von seinem wissenschaftlichen Feuereifer, das Vorübertragen des Sarges so wenig, dass er, als der Leichenzug sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, erinnert werden musste, sich demselben anzuschließen. Mehrere Jahre später wurde ihm auch seine Gattin, welche, einer echten deutschen Hausfrau, ihm eine beinahe religiöse Verehrung und Liebe geweiht hatte, durch den Tod entrissen.; nur seine älteste Tochter Luise lebt noch als Gemahlin des Herrn Professor HERR. |
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