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«zurück Univ. Prof. Dr. Heinz Brandl  

Jetzt kann der Turm von Pisa nicht mehr umstürzen - dank einer Methode des Lienzers Prof. Heinz Brandl
brandl02.jpg Im Jahre 1173 wurde mit dem Bau des Turmes von Pisa begonnen. Schon bald entwickelte das 58 Meter hohe Bauwerk ein gewisses Eigenleben. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts versuchten 16 Rettungskommissionen den Turm vor dem Einsturz zu retten. Die erfolgreiche Sanierung nach einem Masterplan der 17. Kommission ist jetzt nach nur zweijähriger Bautätigkeit abgeschlossen. Die Neigung des Turmes wurde von 5,5° auf 5,0° verringert, die Schräglage somit von ca. 4,5 m auf 4,1 m, was dem Betrachter in keiner Weise auffällt. Nach 800 Jahren ist eines der Wahrzeichen Italiens und eines der berühmtesten Bauwerke der Welt endlich stabilisiert.
Bereits 1991 hatte Prof. Heinz Brandl das nunmehrige Erfolgskonzept zur Rettung des Turmes von Pisa anläßlich einer internationalen Konferenz in Florenz empfohlen. Nachdem alle bisherigen Versuche fehlgeschlagen waren, griff die Kommission vor drei Jahren auf die von ihm vorgeschlagene Methode zurück. Auch im Namen der Italienischen Regierung wurde Prof. Brandl nach Pisa eingeladen, wo er Kritikern dieser unkonventionellen Sanierungsmaßnahme öffentlich entgegen trat.
"Der Erfolg hat viele Väter" erläutert Prof. Brandl in der, großen Persönlichkeiten eigenen, Bescheidenheit. Zweifelsohne stammt aber die letztlich entscheidende Idee zur Stabilisierung des Turmes von ihm: Nicht auf der geneigten Seite, sondern auf der gesunden wurde das Bauwerk behandelt.
Dort wurde mit größter Vorsicht Material unter dem Fundament herausgebohrt, die entstandenen Hohlräume bewirkten eine Zusammendrückung des weichen Bodens und somit eine teilweise Rückdrehung des schiefen Turmes. Zur Sicherung während der Bauarbeiten wurde der Campanile mit Stahlseilen verhängt; die "Hosenträger", wie sie die Italiener scherzhaft bezeichneten, konnten nun wieder abgeschnallt werden.

Natürlich sei diese Arbeit aufgrund der Berühmtheit des Objektes spektakulär gewesen, meint der Professor. Aber weit höhere technische Anforderungen hätten ihn andere, nicht so medienwirksame "Problemfälle" abverlangt. Der Sanierung des Turmes von Pisa konnten jahrelang vorbereitende Untersuchungen vorausgehen. Als aber im Juli 1990 der Mittelpfeiler der Innbrücke in Kufstein abgesackt war, stellte sich die Situation weit schwieriger dar. Kaum jemand glaubte an eine mögliche Rettung der Autobahnbrücke. "Ich hatte für die verantwortungsvolle Entscheidung von Vormittag bis Nachmittag Zeit!", veranschaulicht der Wissenschafter seine Nervenstärke. Aufgrund seiner enormen Praxiserfahrung war Prof. Brandl bei der Sanierung der Innbrücke genauso erfolgreich wie zuvor bei der Rettung des schiefen Pfeilers beim Talübergang Winkl an der Karawankenautobahn in Kärnten. Letzteres kann als "Vorläufer" für die Stabilisierung des schiefen Turmes von Pisa angesehen werden.
Stolz ist der Technikexperte auf seine Erfindung der "Brunnenwände". Im Rahmen des Baus der Südautobahn stellten sich drei Hänge südlich des Gräberntunnels bei Wolfsberg als besonders rutschgefährdet heraus, mit herkömmlichen Schutzbauten wäre die nötige Sicherheit nicht erreichbar gewesen. Der ideenreiche Professor entwickelte eine raffinierte Methode. Einfach dargestellt, ließ er in regelmäßigen Abständen bis 40 m Tiefe Schächte von 8 m Durchmesser ausheben und diese dann mit Stahlbeton füllen. Damit konnten die Rutschhänge mit dem stabilen Untergrund "verdübelt" werden. Außen gegen die Autobahn erfolgte dann ein weiteren Hangausschnitt bis auf das Niveau der geplanten Autobahn. Die nun teilweise sichtbaren unbehandelten Säulen fügen sich harmonisch in die Landschaft ein. Bei jedem dieser insgesamt 70 Brunnen wurde mehr Stahlbeton verbraucht, als für die ganze Spannbetonbrücke über die Isel in Lienz, doziert Prof. Brandl.
Eine technische Meisterleistung des Osttiroler Wissenschafters stellt die Stelzenautobahn durch das Liesertal dar, als "Kleine Europabrücke" wird die Brücke an der Südautobahn im Lavanttal bezeichnet, eine Weltneuheit ist die Methode minimierter Pfahlsetzungen beim 202 Meter hohen Milleniumstower in Wien. Die Aufzählung der von ihm betreuten Bauwerke im In- und Ausland würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen, die Rettung der Highland Towers in Kuala Lumpur und sein Einsatz bei Europas größter Baustelle (Griechenlands 800 km Egnatia-Autobahn) seien doch angeführt. Weltweit wird Prof. Brandl zu heiklen Projekten als Obergutachter und Prüfer herangezogen, Einladungen von Universitäten aus allen Kontinenten ergehen an den geschätzten Wissenschafter. In etwa 450 Fachvorträgen, vor allem im Ausland, hat Prof. Brandl über seine Forschungsarbeiten berichtet. Jedes Referat brachte Neues, keine zwei waren identisch. 3000 Ingenieurprojekte betreute er bisher in verantwortlicher Position.
"Die Liste jener Bauwerke, die ohne ihn kollabiert wären oder jene, die nach einem Kollaps vom Baugrunddoktor geheilt wurden, ist unendlich lang", stellte Generaldirektor DI Horst Pöchhacker, der Präsident der Österreichischen Bauunternehmungen, bereits in seiner Laudatio zum 60. Geburtstag im Vorjahr fest. Im Festsaal der Technischen Universität gratulierten 200 prominente Vertreter der Wissenschaft, Behörden und der Bauwirtschaft. Pöchhacker wies darauf hin, dass Brandl den Bauherren durch seine innovativen Methoden im Laufe der Jahre Milliarden an Kosten erspart habe. Er unterstrich die Bereitschaft des Professors, von routinemäßig eingefahrenen Geleisen abzuweichen und Risiken zu übernehmen, ohne die kritische Schwelle zum "Geopocker" zu überschreiten.
Der Spezialist für den Untergrund hat sich die Basis für seine wissenschaftliche Tätigkeit am Lienzer Gymnasium geholt. "Die Ausbildung an dieser Schule war ein ausgezeichneter Grundstock für meine weiteren Studien", stellt Brandl fest. Hier spricht er besonders die Grundlagen der Mathematik an, die ihm Prof. Ludwig Jilka beigebracht hat. An einen einzigen "Dreier" in seiner schulischen Karriere erinnert sich Brandl auch noch gut. Es war in Deutsch bei Prof. Paul Unterweger. "Aber die Note war gerecht", gesteht er ein, "und hat dazu geführt, dass ich mich sprachlich entscheidend verbesserte." Heute werden Schriftstücke des Technikprofessors von seinen Kollegen auch wegen des geschliffenen Stils gelobt. Kreative Sprüche und Wortschöpfungen von Prof. Brandl am Lienzer Gymnasium sind bis heute an der Schule tradiert. So war er es, der für den legendären Englischprofessor Hugo Walter die Bezeichnung "Sir" kreierte. Die Schule brachte im Jahresbericht 1992/93 eine Würdigung ihres prominenten Absolventen.
An der Technischen Universität in Wien studierte Prof. Brandl Bauingenieurwesen, sein Studium finanzierte es sich selbst, anfänglich als Hilfsarbeiter auf Baustellen. 1963 graduierte er zum Dipl.-Ing., 1966 promovierte er mit Auszeichnung zum Dr. techn., 5 Jahre später erfolgte die Habilitation für das Fachgebiet Grundbau und Bodenmechanik. Nach einem Intermezzo in der Privatwirtschaft im In- und Ausland, wo er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgreich in die Praxis umsetzen konnte, wurde er 1977 als Ordinarius für Grundbau, Boden- und Felsmechanik an die Technische Universität Graz berufen, übrigens als weltweit jüngster Ordinarius auf diesem Fachgebiet. 1980 kehrte er an die TU Wien zurück, wo er nach wie vor dem Institut dieser Fachrichtung vorsteht.
In seiner wissenschaftlichen Tätigkeit kann Prof. Brandl auf 330 fachlich weit gefächerte Publikationen verweisen, die in 14 Sprachen erschienen; er schrieb 16 Bücher.
Die zahlreichen internationalen Ehrungen für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen gipfelten im vorigen Jahr in der Aufnahme in den Kreis der 2000 verdientesten Wissenschafter des 20. Jahrhunderts durch das International Biographical Centre von Cambridge. Als einziger Wissenschafter des deutschen Sprachraums ist Prof. Brandl Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Literatur und Schönen Künste Belgiens (persönlich ernannt von König Baudouin). 1997 übernahm er die Europa-Präsidentschaft der renommierten "International Society for Soil Mechanics and Geotechnical Engineering", die 20 000 Vollmitglieder in 82 Staaten umfasst.
Im Jahre 1946, im Alter von 6 Jahren, war Prof. Brandl mit seinen Eltern aus Südmähren nach Lienz gekommen. In den Baracken am Grafenanger, wo heute das Gymnasium steht, lag die erste Wohnstätte in seiner neuen Heimat. "Tür an Tür mit der Urenkelin von Feldmarschall Radetzky wohnten wir dort", erzählt der Professor. Als die Brandls in die Friedensiedlung umzogen, übernahm die Dame den Hund der Familie, weil der "Dackel mit Stammbaum" in der neuen Siedlung nicht erwünscht war. Über das Haustier blieb auch der Kontakt mit der Dame aufrecht.
Bis in die Neunzigerjahre pendelte Prof. Brandl regelmäßig nach Lienz, um seinen Vater zu besuchen, seit dessen Tod kommt er zumindest zu den Maturatreffen nach Osttirol. Das sind ihm bis heute wichtige Zusammenkünfte. Mit den Lienzer Maturakollegen verbinden ihn heute noch viele persönliche Freundschaften. "Wir sind wie eine Großfamilie, die Treffen empfinde ich immer sehr erfreulich und harmonisch", schildert Prof. Brandl. Und dass es ihn in der Pension wieder nach Osttirol zurückzieht, daraus macht der Wissenschafter mit Weltruf kein Geheimnis.
"You are world famous and everyone knows you" stand auf einer Einladung des Königs von Thailand an den Osttiroler zu lesen; mit der Stabilisierung des schiefen Turmes von Pisa werden seinen Namen nun auch mehr Österreicher außerhalb seines Fachgebietes kennen.
Peter Unterweger, 2001